Dieser Beitrag ist Teil 2 von 5 in der Artikelserie Die Geschichte und Entwicklung des Panamakanals

Nach dem spektakulären Scheitern der französischen Unternehmung unter Ferdinand de Lesseps blieb das Projekt eines interozeanischen Kanals über ein Jahrzehnt lang liegen. Doch die strategische und wirtschaftliche Bedeutung eines solchen Verkehrsweges war zu groß, um für immer aufgegeben zu werden. Anfang des 20. Jahrhunderts trat ein neuer Akteur auf den Plan: die Vereinigten Staaten von Amerika.

Dieser Artikel beleuchtet, wie die USA das ambitionierte Vorhaben übernahmen, welche politischen und technischen Hürden sie bewältigen mussten – und warum der Bau des Panamakanals als eines der größten Ingenieurprojekte der Menschheitsgeschichte gilt.


Ein strategisches Interesse: Warum die USA den Kanal wollten

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte sich die USA von einer regionalen Macht zu einem globalen Akteur entwickelt. Mit dem Sieg im Spanisch-Amerikanischen Krieg von 1898 und dem Erwerb von Kolonien im Pazifik (Philippinen, Guam) rückte ein schneller Seeweg zwischen Atlantik und Pazifik in greifbare Nähe.

Die USA hatten bereits 1850 im sogenannten Clayton-Bulwer-Vertrag mit Großbritannien vereinbart, keinen alleinigen Einfluss auf einen möglichen Kanal zu nehmen. Doch 1901 wurde dieser Vertrag durch den Hay-Pauncefote-Vertragersetzt, der den Vereinigten Staaten freie Hand gewährte.

Ein Kanal durch Mittelamerika war also nicht mehr nur eine technische Vision, sondern Teil der geopolitischen Strategie – als Instrument zur militärischen Kontrolle, zum Schutz der Handelsrouten und zur wirtschaftlichen Expansion.


Der Weg durch Panama – oder doch Nicaragua?

Zunächst war keineswegs klar, ob der Kanal tatsächlich durch Panama führen würde. Eine alternative Route durch Nicaragua wurde intensiv geprüft. Doch schließlich fiel die Entscheidung für Panama – aus mehreren Gründen:

  • Die bereits begonnenen französischen Arbeiten in Panama konnten teilweise übernommen werden.
  • Die Route war kürzer als in Nicaragua.
  • Eine einflussreiche Lobbygruppe in den USA befürwortete Panama, darunter Philippe Bunau-Varilla, ein ehemaliger französischer Ingenieur, der entscheidenden politischen Einfluss nahm.

Allerdings war Panama zu diesem Zeitpunkt noch eine Provinz Kolumbiens – und Kolumbien lehnte das amerikanische Vertragsangebot ab. Was folgte, war ein geopolitischer Machtakt.


Panamas Unabhängigkeit – und der Kanalvertrag

Im November 1903 unterstützten die USA aktiv eine sezessionistische Bewegung in Panama. Binnen weniger Tage erklärte sich Panama für unabhängig – und die USA erkannten den neuen Staat sofort an. Als Dank erhielt die US-Regierung exklusive Rechte für den Bau und den Betrieb des Kanals.

Im Hay-Bunau-Varilla-Vertrag (1903) sicherten sich die Vereinigten Staaten auf unbestimmte Zeit die Kontrolle über eine zehn Meilen breite Kanalzone. Panama wurde dafür mit 10 Millionen Dollar und späteren jährlichen Zahlungen entschädigt – ein Vertrag, der in Panama lange Zeit als Symbol imperialistischer Einmischung galt.


Der eigentliche Kanalbau: Technik trifft Tropen

1904 begannen die Amerikaner mit dem Bau. Der ursprüngliche französische Ansatz eines Kanals auf Meereshöhe wurde verworfen. Stattdessen entschied man sich für ein Schleusensystem – eine Lösung, die den Höhenunterschied zwischen dem Meer und dem Inland überwinden und die tropischen Niederschläge besser beherrschen konnte.

Die wichtigsten Bauabschnitte umfassten:

  • Der Gaillard Cut (Culebra Cut): Ein aufwändiger Einschnitt durch das Gebirge, der Millionen Kubikmeter Gestein erforderte.
  • Die Schleusenanlagen von Gatun, Pedro Miguel und Miraflores: Diese technischen Meisterwerke hoben und senkten Schiffe über rund 26 Meter.
  • Der Gatunsee: Ein künstlicher See, der als zentraler Teil des Kanals fungiert – damals das größte von Menschenhand geschaffene Wasserreservoir.

Ein Kampf gegen die Natur – und gegen Krankheiten

Die technischen Herausforderungen waren enorm – doch noch größer waren die medizinischen. Die Tropenkrankheiten, die bereits die Franzosen in den Ruin getrieben hatten, bedrohten auch die amerikanischen Arbeiter.

Der Durchbruch gelang durch den Einsatz des Arztes William C. Gorgas, der das Prinzip der Krankheitsübertragung durch Mücken konsequent umsetzte:

  • Stehendes Wasser wurde beseitigt.
  • Wohnquartiere wurden mit Moskitonetzen ausgestattet.
  • Insektizide kamen gezielt zum Einsatz.

Dank dieser Maßnahmen konnten Malaria und Gelbfieber entscheidend eingedämmt werden – eine der großen medizinischen Leistungen der damaligen Zeit.


Der soziale Kontext: Arbeit und Ungleichheit

Mehr als 40.000 Menschen waren zeitweise am Kanalbau beteiligt, darunter viele Arbeiter aus der Karibik. Die Arbeits- und Lebensbedingungen waren hart, und es herrschte ein striktes Zwei-Klassen-System:

  • Weiße Arbeiter, meist aus den USA und Europa, lebten in gut ausgestatteten Quartieren mit medizinischer Versorgung und Erholungsangeboten.
  • Schwarze Arbeiter, vorrangig aus Jamaika und Barbados, erhielten schlechtere Bezahlung, primitivere Unterkünfte und kaum Zugang zu sozialen Leistungen.

Diese soziale Ungleichheit prägte das Arbeitsleben in der Kanalzone und sorgte für Spannungen, die über Jahrzehnte fortwirkten.


Die Eröffnung des Kanals – ein Jahrhundertprojekt wird Wirklichkeit

Nach zehn Jahren Bauzeit wurde der Panamakanal am 15. August 1914 offiziell eröffnet. Das erste Schiff, das den Kanal vollständig durchquerte, war der Frachter SS Ancon. Aufgrund des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs blieb die Eröffnung weitgehend unspektakulär – doch die Auswirkungen waren historisch:

  • Die Reisedauer zwischen Atlantik und Pazifik schrumpfte von rund 20.000 km (um Kap Hoorn) auf etwa 8.000 km.
  • Der Welthandel wurde revolutioniert, insbesondere der Verkehr zwischen Ostasien, Europa und der US-Ostküste.
  • Die USA sicherten sich dauerhaft eine strategische Position, die sie zur dominanten Seemacht machte.

Fazit: Eine neue Weltordnung durch einen künstlichen Fluss

Der Bau des Panamakanals markierte einen Wendepunkt in der globalen Logistik und Weltwirtschaft. Er war nicht nur ein Triumph der Ingenieurskunst, sondern auch ein Ausdruck amerikanischer Machtpolitik – durchgesetzt mit medizinischem Wissen, politischem Kalkül und technischem Ehrgeiz.

Mit dem erfolgreichen Abschluss des Projekts war eine neue Ära eingeläutet: Die Meere waren enger zusammengerückt, der Welthandel beschleunigt – und der kleine Landstreifen zwischen Atlantik und Pazifik wurde zum Nadelöhr globaler Ströme.

Im nächsten Artikel der Serie werfen wir einen Blick auf das 20. Jahrhundert – und wie der Panamakanal zwischen Abhängigkeit und Autonomie, zwischen amerikanischer Vorherrschaft und panamaischer Selbstbestimmung pendelte.

Weiterlesen in der Artikelserie << Ein kühner Traum: Die ersten Pläne für einen Kanal durch PanamaGeopolitik am Isthmus: Die Kontrolle über den Panamakanal im 20. Jahrhundert >>
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